

Der Klang der Versöhnung - The Sound of Reconciliation
Die Karl-Schuke-Orgel (2017) in der Kapelle der Versöhnung in Berlin mit landestypischen Registern der Alliierten: Open Diapason, Hautbois, Vox coelestis und Bajan
Annette Diening, Orgel
Philip Glass (*1937):
Opening pieces from "Glassworks"
Johann Sebastian Bach (1685-1750):
Triosonate Nr. 4 e-Moll, BWV 528 (1. Adagio - Vivace / 2. Andante / 3. Un poc' allegro)
Josef Gabriel Rheinberger (1839-1901):
Abendfriede op. 156 Nr. 10 (aus: Zwölf Charakterstücke für Orgel)
Ad Wammes (*1953):
Miroir für Orgel
Nadia Boulanger (1887-1979):
Trois Pièces pour Orgue ou Harmonium (1. Prélude / 2. Petit Canon / 3. Improvisation)
Modest Mussorgski (1839-1881):
"Il vecchio Castello" (Das alte Schloss) aus: Bilder einer Ausstellung, Bearbeitung: Oskar Blarr (*1934)
John Rutter (*1945):
Toccata in Seven
Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847):
Präludium und Fuge e-Moll, op. 35 Nr. 1 (1. Präludium MWV U166 Allegro con fuoco / 2. Fuge MWV U66 Andante espressivo), Bearbeitung: Reitze Smits (*1956)
Russisches Volkslied:
Das ist nicht der Wind, der den Zweig neigt. Bearbeitung: Andreas Wins (*1959)
Aufnahme: Pirmin Kustin, Oktober 2020 in der Kapelle der Versöhnung in Berlin
TT 61:57 Min., Bestellnummer: pT-1222, EAN 4250523312227, primTON 2021
Eine Orgel mit vier zusätzlichen Registern, die die vier alliierten Mächte des Zweiten Weltkriegs symbolisieren: Open Diapason, Hautbois, Vox coelestis und Bajan.
Nach fünfjähriger Planungs- und Bauzeit wurde bei einem Festgottesdienst in der Kapelle der Versöhnung die vom Berliner Orgelbauer Karl Schuke gebaute Orgel erstmals zum Klingen gebracht.
Für den Bau der Orgel galt es als unabdingbar, den Gedanken der Versöhnung der vier ehemaligen Alliierten im Zweiten Weltkrieg zu berücksichtigen. Daher wurden vier Register speziell auf die Orgeltraditionen Großbritanniens, Frankreichs, der USA und Russlands im Jahr 1945 ausgerichtet. Diese Aufnahme stellt Kompositionen und typische Klänge aller vier Länder vor. Es soll eine „Wiedervereinigung in Klängen“ sein.
Der Klang der Versöhnung
Die Kapelle der Versöhnung, die im Jahr 2000 auf dem ehemaligen Mauerstreifen als Gedenkort und als Gottesdiensthaus für die Versöhnungsgemeinde fertiggestellt wurde, ist im Kern ein ovaler Stampflehmbau, in dessen Lehmbaumasse Teile des Bauschutts der gesprengten Versöhnungskirche gegeben wurden. Die Installation einer Orgel in diesen besonderen Innenraum stellte bautechnisch eine Herausforderung dar. Nachdem die Versöhnungsgemeinde zunächst nur ein kleines Serieninstrument der Firma Walcker (II /Ped) aus dem Jahr 1965 zur Begleitung des Gesangs nutzte, konnte sie im Jahr 2012 mit der tatkräftigen konzeptionellen und finanziellen Hilfe vieler Unterstützer und Sponsoren, den Bau eines Instruments in Auftrag geben, das auf die Kapelle abgestimmt werden konnte.
Nach fünfjähriger Planung erklang am Michaelistag, am 29. September 2017, erstmals das von der Berliner Orgelbauwerkstatt Karl Schuke erbaute Instrument in einem Festgottesdienst in der Kapelle der Versöhnung. Das neue Instrument wurde mit vielen grundtönigen Registern ausgestattet, welche den Raum klanglich gut ausfüllen und den meditativen Charakter des Ortes aufnehmen. Außerdem ist es mit einer Computertechnik ausgestattet, die eine Einzelansteuerung der Pfeifen ermöglicht. Aus neun Pfeifenreihen konnte so eine zweimanualige Orgel mit 27 Registern auf der schmalen und nicht sehr belastbaren Empore gebaut werden.
Um den Gedanken der Versöhnung in die Konzeption des Instruments hineinzunehmen, werden vier Register in ihrer Bauart und klanglichen Ausprägung jeweils einem Land der ehemaligen Alliierten zur Zeit der deutschen Teilung zugeordnet. Großbritannien, Frankreich, die USA und Russland werden so in dem Instrument repräsentiert und gewissermaßen auch vereint. Die vorliegende Aufnahme stellt diese Klänge vor allem mit Kompositionen aus eben diesen Ländern vor.
Open Diapason
Das Register „Open Diapason“ ist ein Prinzipal – sozusagen das Rückgrat einer jeden Orgel – und wurde nach englischem Vorbild gebaut. Es steht im Prospekt der Orgel und fällt durch seine besondere Oberfläche auf, die durch Sandguss entsteht. Diese Pfeifenart klingt sehr klar und zeichnend, zugleich milde und gesanglich und ist sehr gut geeignet etwa zur Begleitung von Sängern und Chören: So ist es häufig auch bei den Auftritten der traditionsreichen Chöre Großbritanniens zu erleben. Die „Toccata in Seven“ des britischen Komponisten John Rutter (*1945) ist ein schnelles und jubilierendes Stück im 7/8-Takt. Eine meist durchgehende Achtelfigur schafft dabei die für einen ungeraden Takt reizvollen wechselnden Betonungen. In einem ruhigeren Mittelteil wird diese Achtelfigur von Akkordverschiebungen in Halben- und punktierten Viertelnoten abgelöst; nur zwischendurch erklingt im Manual oder Pedal ein kurzer Achteleinwurf. Während „Open Diapason“ bei den lauteren Stellen im Gesamtklang mit den anderen Registern verschmilzt, ist es in dieser ruhigen Passage als einzelnes grundtöniges Register hörbar.
Hautbois
Das Register „Basson-Hautbois“ wurde nach französischer Bauart gefertigt. Es handelt sich um eine Pfeifenbauweise, bei der ein kleines Metallplättchen im Inneren der Pfeife ins Schwingen gerät, so dass ein dem Blasinstrument Oboe ähnlicher Klang entsteht. Es hat als Soloregister eine lyrische, pastorale Klangfarbe und trägt im Gesamtklang zur Abrundung des Obertonklangs bei. Das Register darf in der französischen Orgelromantik nicht fehlen.
Bei den Triosonaten für Orgel von Johann Sebastian Bach (1685-1750) werden drei Stimmen eigenständig und einstimmig auf zwei Manualen und Pedal geführt, so dass bei charakteristischen Registern der Eindruck entsteht, drei Instrumente würden miteinander musizieren. Den ersten Satz aus der „Triosonate Nr. 4“ in e-moll, BWV 528, verwendete Bach bereits in der Kirchenkantate „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ (BWV 76) mit Oboe d’amore, Viola da Gamba und Continuo. In diesem Sinne erklingt hier das Register „Hautbois“ auch als Solostimme.
Die „Trois Pièces pour Orgue ou Harmonium“ von der französischen Komponistin Nadia Boulanger (1887-1979) sind sehr feine poetische Sätze, die jeweils leise und filigran in ihrer Struktur beginnen und wieder ausklingen. Das Register „Hautbois“ erklingt erst bei den lauteren Stellen im Mittelteil und rundet den Gesamtklang mehrerer Register ab.
Vox coelestis
Die Streicherschwebung „Vox coelestis“, die „Himmelsstimme“, wurde nach amerikanischem Vorbild gebaut. Zusammen mit der „Aeoline“ klingen pro Taste zwei Pfeifen mit leicht unterschiedlicher Stimmtonhöhe, so dass ein schwebender, sphärischer Klang entsteht. Dieser Klang wird in der Orgelliteratur gerne als Hintergrund für eine Solostimme benutzt, um eine mystische charakteristische Klangfarbe in den Raum zu bringen. In großen amerikanischen Orgeln ist diese Registerbauart oft gleich mehrfach vorhanden.
Das Klavierstück „Opening Piece“ des amerikanischen Komponisten Philip Glass (*1937) arbeitet mit einer für die Minimal Music typischen Wiederholung einer immer wieder leicht abgewandelten Akkordfolge, welche durch die Brechung in Achtelfiguren in der linken Hand und Triolen in der rechten Hand in einer ständigen schwingenden Bewegung ist. Diese Dynamik wird durch das Register „Vox coelestis“ verstärkend aufgenommen. Im Laufe der Wiederholungen erklingen zusätzlich weitere Achtfußregister und Oktavkoppeln, so dass der flirrende Klang immer weitere Schattierungen erhält bis das Stück schließlich abrupt endet.
Bajan
Das Register „Bajan“ ist einzigartig: Diese helle durchschlagende Zungenstimme ahmt den Klang des russischen Knopfakkordeons nach. Es gibt der Orgel eine sehr individuelle Klangfarbe, welche sich auch mit der des Harmoniums oder der Physharmonika vergleichen lässt. Die Zungen sind hier allerdings aus Stahl gebaut, so dass der Klang etwas härter und prägnanter ist. Durch einen Windschweller lässt sich dieses Register beim Spiel dynamisch abstufen und ermöglicht so eine sehr expressive Spielweise. Mit dem Piston „Resonator“ lässt sich zusätzlich der Kasten, in dem die Zungen eingebaut sind, öffnen und der Klang des Registers wird noch brillanter.
„Das alte Schloss“ aus dem Klavierzyklus „Bilder einer Ausstellung“ des russischen Komponisten Modest Mussorgski (1839-1852) erklingt in einer Bearbeitung von Oskar Blarr (*1934) – dabei übernimmt hier das „Bajan“ die expressive Solostimme. In den Zwischenteilen erklingt der Satz als Steigerung mehrstimmig im „Bajan“ bei geöffnetem Kasten. Zum Ende erklingt es wieder nur als Solostimme, bis es langsam verklingt. Der Volksliedsatz „Es ist nicht der Wind, der den Zweig neigt“ in der Bearbeitung von Andreas Wins (*1959), wird allein mit dem „Bajan“ gespielt, auch hier werden klangliche Effekte mit dem Windschweller und dem Schließen und Öffnen des Resonatorkastens erzeugt.
Versöhnung
Das Register „Nasard 22/3'“ ist aufgrund der Pfeifeneinzelansteuerung und seiner kräftigen Intonation auch als 8'-Register ab g0 spielbar. Diese neue Klangfarbe erhielt den Namen „Versöhnung 8'“.
Zusammen mit der „Rohrflöte“ erklingt das Register „Versöhnung“ als leichte Flötenschwebung in dem Charakterstück „Abendfriede“ von Josef Gabriel Rheinberger (1839-1901). Präludium und Fuge in e-moll, op. 35,1 von Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847), ursprünglich für Klavier komponiert, wurden von Reitze Smits (*1956) für Orgel arrangiert. Während das Präludium ähnlich einem „Lied ohne Worte“ eine Melodie mit einer virtuosen Figur umspielt, handelt es sich bei der Fuge um eine typische Crescondo-Fuge, welche leise beginnt und dann mit zunehmendem Accelerando immer lauter wird, bis sie in einem fingierten Choral mündet. Das Register Versöhnung spielt hier für die feinen dynamischen Abstufungen im Piano-Bereich eine wichtige Rolle. In „Miroir“ von dem niederländischen Komponisten Ad Wammes (*1953) spielt die rechte Hand ununterbrochen ein rhythmisches Motiv, während linke Hand und Pedal kleine melodische Details einbringen. So entsteht eine klanglich schimmernde Textur, ähnlich einer Lichtreflexion im Spiegel. Die Assoziation reflektierenden Lichts wird durch die klangliche Nähe der beiden Register Rohrflöte und Versöhnung, die auf zwei unterschiedlichen Manualen in gleicher Lage gespielt werden, verstärkt.
Disposition der Karl-Schuke-Orgel in der Kapelle der Versöhnung Berlin (2017)
Opus 568; Orgel mit 26 Registern aus Reihen, verteilt auf 2 Manuale und Pedal; mit elektrischer Einzeltonansteuerung
Pedal 30 Töne, C-f'
1 Subbass 16' Reihe A
2 Oktavbass 8' Reihe B
3 Gedacktbass 8' Reihe A
4 Cello 8' Reihe C
5 Oktave 4' Reihe B
6 Basson 8' Reihe F
7 I/Pedal
8 II/Pedal
I. Manual 56 Töne, C-g'''
9 Bordun 16' Reihe A, ab c' Rohrflöte
10 Open Diapason 8' Reihe B, Prospekt
11 Rohrflöte 8' Reihe A
12 Versöhnung 8' Reihe D
13 Viola da Gamba 8' Reihe C
14 Octava aimabile 4' Reihe B
15 Flûte à cheminée 4' Reihe A
16 Gambetta 4' Reihe C
17 Nasard 2 2/3' Reihe D
18 Octavin 2' Reihe B
19 Terz 1 3/5' Reihe E
20 Basson-Hautbois 8' Reihe F
21 II/I
22 I/I Sub
22 II/I Sub
II. Manual 56 Töne, C-g'''
24 Rohrflöte 8' Reihe A
25 Aeoline 8' Reihe G
26 Vox coelestis 8' Reihe H
27 Flûte à cheminée 4' Reihe A
28 Nasard 2 2/3‘ Reihe D
29 Octavin 2‘ Reihe B
30 Terz 1 3/5‘ Reihe E
31 Basson-Hautbois 8‘ Reihe F
32 Bajan 8' Reihe I mechanische Traktur
33 II/II Sub
34 II/II Super
Setzeranlage; Schwelltritt für die Windversorgung des Bajan
Piston zum Öffnen des Resonator-Kastens vom Bajan
Die Disposition zum Download.