

Maveya
Eine musikalische Reise nach einer Kurzgeschichte von Martin Becker Julia Fiebelkorn (Gesang), Ninad Anders (Shakuhachi, Gitarre),
Marco Trochelmann,
tonfinder.de (Fujara, Klavier, Schlagzeug, Didgeridoo u.a.) Komposition, Arrangement und Produktion: Marco Trochelmann. CD im Digipack mit Z-Folder, TT 70:56 Min., Bestellnummer CD 10303, GTIN (EAN) 4260031183035, VÖ PICAROmedia/ primTON 2005
Inhalt
- Hunde oder Katzen
- Von Mücken und Kamelen
- Givèle
- Um Maveya zu finden
- Leben dort
- Reise nach Zuhaus
- Zwischen Sechssiebtel und Dreiviertel
Maveya ist ein Konzeptalbum mit „kultur-antropophager Programmmusik“, für das der Multiinstrumentalist und Komponist Marco Trochelmann mit dem Gitarristen und Shakuhachi-Spieler Ninad Anders und der Jazzsängerin Julia Fiebelkorn zusammengearbeitet hat.
Sieben filmmusikalische Kompositionen, die durch Ideenreichtum und raffinierte Arrangements überzeugen, führen den Zuhörer tiefer hinein in die traumartige Kurzgeschichte „MAVEYA“ von Martin Becker, die im Booklet der CD abgedruckt ist.
Marco Trochelmann nutzt für die Gestaltung und Entfaltung der vielfältigen musikalischen Szenen und Stimmungen neben sinfonischen Orchesterklängen, verschiedenen Synthesizern und klassischen Band-Instrumenten auch zahlreiche unbekanntere inner- und außereuropäische Instrumente (darunter Fujara, Didgeridoo, Maultrommel und Darbuka) die „Maveya“ zu einem klangfarbenprächtigen Hörerlebnis machen.
Zudem erweitert er mit dem Titel „Um Maveya zu finden“ seine bisher solistisch geprägte zeitgenössische Fujara-Musik um einen Beitrag, der beweist, dass die Fujara, traditionell ein Soloinstrument, auch eine führende Rolle in bandmusikalischem Kontext überzeugend spielen kann.
Youtube-Video
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Maveya - Marco Trochelmann - Contemporary Fujara Music
Kurzgeschichte "Maveya" von Martin Becker
So schön oder furchtbar musste es gewesen sein, dass ich im Schlaf Rotz und Wasser geheult hatte. Und am Ende hatte jemand gerufen, meinte er mich, meinte er sich, er hatte gerufen: Maveya; Maveya, Maveya!
Waren es wirklich die Katzen, oder waren es die Hunde. Meine Tante aus dem Schwarzwald hatte einen erstaunlichen Hund. Als er nicht mal ein Jahr alt war, geriet er unter den Bus. Kam mit Kaputtpfötchen davon und stieg ins zweite Leben. Diesmal die Staupe. Wieder um Haaresbreite an der Sense vorbei. Beim dritten Mal ein böser Köter, der ihm die Kehle halb aufschlitzte, das vierte, fünfte, sechste, siebte und achte Mal kann sich ja jeder zusammenreimen. Vor seinem dritten Geburtstag – nachdem er also acht Mal, wie man so sagt, dem Tod von der Schippe gesprungen war – starb er dann ganz und wirklich; an Überfettung; denn der Hund meiner Tante aus dem Schwarzwald war ein Mops, und Möpse sind fette Säue; meine Tante aus dem Schwarzwald ließ ihn beerdigen und setzte ihm einen Grabstein, diesem Köter mit den neun Leben, und ließ seinen Namen groß und breit darauf eingravieren: Maveya.
Ich stand auf und sah hinaus, allerdings waren die Scheiben blind, und als ich sie frei gerieben hatte, sah ich nur mein Spiegelbild im Fenster, weil es draußen so neblig war, dass man den Mittelfinger vor Augen nicht sah, nicht mal sagen konnte, ob dieses Ding auf der anderen Straßenseite ein Riese oder eine Laterne war. Man soll eine Mücke nicht zum Kamel machen, aber irgendwas musste es mit diesem verdammten Wort doch auf sich haben. Ich blätterte in meinem Kalender; suchte im Adressverzeichnis nach meiner Schwarzwaldtante, bis mir einfiel, dass sie schon längst nicht mehr war. Und dass ihr Mops nie und nimmer Maveya geheißen hatte, trotz seiner neun Leben, sondern sie ihn nach ihrem allerlängst verstorbenen Mann zu rufen pflegte, dessen Name mir gänzlich abhanden gekommen war.
Man steht da mit seinem Talent, sagt man in der Gegend meiner Eltern zu jemandem, der gescheitert ist; und man sagt auch, dass jede Menschenkindheit damit zu enden beginnt, dass der Hund die Spielwiese nicht mehr wie ein Givèle überqueren kann.
Obwohl es jetzt hell war, kroch ich wieder unter die Decke, sollte sich der Friseur doch zum Teufel scheren. Ich drückte die Augen fest zusammen, das musste die Lösung sein: Zurück. Schlafen, um Maveya zu finden.
Selbstverständlich kam ich pünktlich zu Friseur, Reisebüro, Bahnhof. Selbstverständlich hatte ich keine Ahnung, wer wie was es mit Maveya auf sich hatte; das Schlimmste daran war das Gefühl, die Antwort wie einen Staffelstab bei mir getragen zu haben, genau bis – bis wohin eigentlich – jedenfalls nicht bis darüber hinaus.
Jetzt fiel es mir wieder ein: Es ist die Inselgruppe, auf die ich als kleiner Junge hatte fahren wollen. Damals sammelte ich noch Geldscheine aus aller Herren Länder. Sieben kleine Stücke Land mitten im Ozean, die der Anordnung nach an ein Kettenkarussell erinnern. Dort einigt sich das Volk einfach so und ohne Parlament. Das Besondere an diesen Inseln ist, so hatte ich später nachgelesen, dass jede von ihnen einer anderen Klimazone angehört, was bedeutet, dass an ein- und demselben Tag bis zu sieben verschiedene Temperaturen und Wetterbedingungen im Staate herrschen können. Nach der einzigen das gesamte Jahr hindurch voll und ganz sonnenbeschienenen Insel wurde der Sieben-Insel-Staat dereinst benannt: Maveya.
Lassen wir das. So lange ich auch suchte, ich fand nicht die richtige Frage auf die Antwort Maveya; blätterte zur Zerstreuung meinen Kalender durch und blieb am Heute hängen: Friseur, Reisebüro, Bank, Bahnhof, Abfahrt, Ankunft. Es war das erste Mal, dass ich ohne jedes Gefühl, ohne jede Regung an meine Reise nach Zuhaus dachte.
Oder war es so: Das erste Auto meines Vaters war ein Maveya. Mit diesem Maveya war er in den Urlaub gefahren, schlief mit meiner Mutter im Schlafsack auf der Rückbank, hinter sich nur noch die Ostsee, vor sich noch zwischen Sechssiebtel und Dreiviertel seines Lebens.