


W.F. Bach: Sechs Duette für zwei Fagotte
Wilhelm Friedemann Bach (1710 - 1784): Sechs Duette für Flöte Fk 54-59, interpretiert auf historischen Fagotten
satyros: Adrian Rovatkay & Christian Walter
TT 66:16 Min., Bestellnummer pT-1201, GTIN (EAN / UPC) 4020796411176, VÖ talis records 2001/ primTON 2015
Wilhelm Friedemann Bach (1710 - 1784): Sechs Flötenduette [interpretiert auf historischen Fagotten]
- Duett II B-Dur: Allegro ma non troppo | Cantabile | Allabreve | Gigue
- Duett I g-Moll: Allegro | Larghetto | Vivace
- Duett III F-Dur: Allegro | Adagio ma non molto | Presto
- Duett V F-Dur: Un poco Allegro | Largo | Vivace
- Duett IV B-Dur: Allegro e moderato | Lamentabile | Presto
- Duett VI g-Moll: Un poco Allegro | Largo | Vivace
Zur Aufnahme:
Dass Duette nicht nur für ein bestimmtes Instrument geschrieben wurden, belegen mehrere Quellen:
Bei Telemanns Pariser Ausgabe seiner Flötenduette 1737 sind verschiedene Notenschlüssel mit unterschiedlichen Stimmenbezeichnungen an die Anfänge der Stücke gesetzt: "Pour deux Flutes Traversieres, deux Flutes Douces, ou deux Violons."
In Jean Daniel Brauns Capriccien können wir dasselbe beobachten, nur diesmal für Traversflöte oder Fagott (Basson). J.B. de Boismortier gab etwa 20 Duette für Gamben, Fagotte oder Violoncelli heraus, also für sehr verschiedene Bassinstrumente. Am ausführlichsten beschäftigt sich J.J. Quantz mit der Besetzung im Vorwort seiner Flötenduette:
„Ich weiss fast nicht ob es einmal nöthig ist, zu sagen, daß die hierbey folgenden 6 Duette, ob sie gleich eigentlich für zwo Flöten traversieres gesetzet sind, dennoch auch auf einigen anderen Instrumenten ausgeführet werden können. Z.E. auf einer Flöte, und einer gedämpften Violine oder einer Viola da Gamba; auf zwo Violinen; auf zwo Hoboen, einen Ton tiefer, auf zwo Flöten a bec, eine kleine Terze höher. In eben dieser Transposition, nämlich um eine kleine Terze höher, können sie auch auf zween Fagotten, auf zwo Bratschen, und auf zween Violoncelli gespielet werden. Wer aber die höheren Töne (das mezzo manico) auf der Bratsche oder auf dem Violoncelli nicht in der Gewalt hat, der kann sie in der Tonart spielen, worinn sie gesetzet sind.“
Bei unserer Einspielung benutzen wir für die ersten beiden Sonaten die Vorschläge von Quantz:
- von e-moll nach g-moll
- von G-Dur nach B-Dur.
- Der größere Tonumfang in den letzten Sonaten ließ diese Transpositionen nicht zu. Daher wählten wir folgende Tonarten:
- von Es-Dur nach F-Dur,
- von F-Dur nach B-Dur,
- von Es-Dur nach F-Dur,
- von f-moll nach g-moll.
Christian Walter
Wilhelm Friedemann Bach (1719–1784): Sechs Duette (Fk 54–59)
Nach einer besonders von der Musikästhetik des mittleren 18. Jahrhunderts propagierten Ansicht zeigt sich die wahre Meisterschaft der polyphonen Satztechnik in der Kunst des Weglassens. Nur der beherrschte wirklich die intrikaten Geheimnisse von Harmonie und Kontrapunkt, der sie unverhüllt im zweistimmigen Satz darstellen könne, ohne dass das Ohr den geringsten Mangel an Wohlklang und musikalischer Logik verspüre. Als exempla classica dieser hohen Kunst dienten die Inventionen Johann Sebastian Bachs (1723), in denen sich das Ideal dieser Satztechnik erstmals freilich noch mit anderer Zielsetzung manifestierte, ferner die vier Duette aus dem dritten Teil der Clavier-Übung (1739) und die e-moll-Fuge aus dem zweiten Teil des Wohltemperierten Klaviers (um 1740). Auch die kanonischen Duette Georg Philipp Telemanns (1738), die sich an galante Vorbilder aus Frankreich anschließen und in Deutschland den Typus des Duetts mit zwei gleichartigen Melodieinstrumenten einführten, gehören in diese ehrwürdige Tradition. Die Exklusivität dieser Satzweise sahen einige Kenner allerdings gefährdet, als 1759 sechs Flötenduette des königlich-preußischen Flötenlehrers Johann Joachim Quantz erschienen. Quantz, bis dahin ein engagierter Vertreter des modernen galanten Stils, erklärte im Vorwort seiner Ausgabe selbstbewusst, seine Kompositionen kämen nicht nur ohne weitere Zutat aus, sondern es sei vielmehr unmöglich, ihnen ohne Zwang eine dritte selbständige Stimme beizufügen. Von so viel Hybris herausgefordert, unternahm es der Bach-Schüler Johann Philipp Kirnberger, Quantz bloßzustellen, indem er während eines Gottesdienstes von den andächtigen Gläubigen – unter ihnen auch der fromme Flötenvirtuose – eines von dessen Duetten mit beiden Händen auf der Orgel anstimmte und dazu im Pedal einen Bass improvisierte. Der Skandal war perfekt – und zog schier endlose theoretische und satztechnische Auseinandersetzungen nach sich, die bald weit mehr Seiten füllten als die Stücke, über die gestritten wurde.
In den Zusammenhang dieses Berliner Theoretikerstreits gehören offenbar auch die sechs Flötenduette Wilhelm Friedemann Bachs. Die früheste Erwähnung dieser Werke stammt aus dem Jahr 1771 und findet sich in Kirnbergers berühmter Abhandlung Die Kunst des reinen Satzes der Musik; dort heißt es mit deutlicher Anspielung auf die Komposition von Quantz: „Dieser zweystimmige Satz auf zwey Flöten, oder andern gleichtönenden Instrumenten, oder Stimmen, ist wegen der Schwürigkeit, daß eine dritte Stimme nicht dabey vermisst werde, so schwer, daß ich von dieser Art nur des Herrn W. Friedemann Bachs, ältesten Sohns des J.S. Bachs, Flötenduette kenne, die als vollkommene Muster zur Richtschnur dieses Satzes dienen können. Viele Duette sind der Gefahr unterworfen, daß mehr als eine Stimme dazu könne gesetzt werden.“ Beschreibungen der seit 1945 lange verschollenen und erst jüngst wieder zugänglich gewordenen Autographe bezeugen, daß zunächst um 1745 lediglich vier Werke (Fk 54,55, 57, 59) entstanden; die übrigen zwei (Fk 56, 58) mögen erst während der Berliner Zeit W.F. Bachs (ab 1774) hinzugekommen sein – vielleicht in der (dann aber nicht realisierten) Absicht, eine Serie von sechs gleichartigen Werken zu publizieren.
Die gescheiterte Drucklegung der bereits öffentlich gelobten Kompositionen dürfte direkt mit W.F. Bachs Beziehung zu Kirnberger und dessen Dienstherrin Anna Amalia zusammenhängen. Als der bereits 64-jährige, seit einem Jahrzehnt stellungslose Bach-Sohn im Frühling 1774 in die preußische Metropole zog, um dort ein Auskommen zu finden, knüpfte er rasch enge Verbindungen zu dem einstigen Schüler seines Vaters und der exzentrischen Schwester Friedrichs des Großen, die sein überragendes Orgelspiel bewunderte und seinen Lebensunterhalt durch regelmäßige Geldgeschenke sichern half. Die Freundschaft endete jedoch nach etwa fünf Jahren abrupt durch eine missglückte Intrige, mittels derer W.F. Bach anscheinend Kirnberger aus dessen Amt zu drängen suchte. Nach dem Bruch mit der Prinzessin war wohl an eine gedruckte Ausgabe, deren Kosten vermutlich den Zuschuss eines solventen Gönners vorausgesetzt hätten, nicht mehr zu denken.
Die sechs Werke offenbaren W.F. Bachs souveräne Beherrschung der kontrapunktischen Satztechnik. Der kompromisslose professionelle Anspruch dokumentiert sich in den polyphonen und harmonischen Kühnheiten der Stücke ebenso wie in den technischen Schwierigkeiten, die Bach den Ausführenden abverlangt. Im zweistimmigen Satz hat wohl kaum ein Komponist seit J.S. Bach ein so hohes Maß an harmonischer Wendigkeit, melodischer Geschmeidigkeit und formaler Eleganz entwickelt wie Wilhelm Friedemann in diesen sechs Kompositionen, die in gewissem Sinne eine Bilanz seines Lebenswerks darstellen. In verschiedenen Sätzen finden sich Anspielungen an früher Geschaffenes, verborgene Zitate, vorbeihuschende Reminiszenzen: Der Schlusssatz des Duetts Fk 59 etwa ist die Bearbeitung einer in den 1730er Jahren entstandenen Gigue für Cembalo, die Friedemanns Stiefmutter Anna Magdalena Bach sich um 1739 kopiert hatte und der daher vielleicht eine besondere biographische Bedeutung zukommt. Das Finale des Duetts Fk 58 zitiert das Thema einer dreistimmigen Clavierfuge, die Wilhelm Friedemann 1778 Prinzessin Anna Amalia gewidmet hatte. Der klagender Ton mancher langsamen Sätze im ¾-Takt schließlich erinnert an die Mittelsätze der Cembalo-Konzerte und –Sonaten der Dresdner Zeit.
Die sublimen Schönheiten der Duette Wilhelm Friedemann Bachs erschließen sich nur dem aufmerksamen Zuhörer; es handelt sich um äußerst abstrakte, gleichsam kondensierte Kunst, die der nachvollziehenden Phantasie bedarf, um sich zu entfalten.
© 2001 Peter Wollny