Granat - Musik für Saxophon und Klavier
Martin Losert (Alt-Saxophon) & Akemi Masuko (Klavier)
Inhalt
- Paul Creston (1906-1985): Sonata op. 19 (1939) With vigor/ With tranquility/ With gaiety
- Erwin Schulhoff (1894-1942): Hot-Sonate (1930) M.M.=66/ M.M.=112/ M.M.=80/ M.M.=132
- Edison Denisov (1929-1996): Sonate (1970) Allegro/ Lento/ Allegro moderato
- André Jolivet (1905-1974): Fantaisie-Impromptu (1953)
- Darius Milhaud (1892-1974): Scaramouche (1937) Vif/ Modéré/ Brazileira
Als Mitte des letzten Jahrhunderts Adolph Sax das Saxophon erfand, hätte er sich wohl kaum träumen lassen, welche Popularität und Verbreitung sein Instrument einmal gewinnen sollte. Dabei hatte es zuerst ganz anders ausgesehen: Nach anfänglichen Erfolgen hatte er mit finanziellen Schwierigkeiten und endlosen Klagen bezüglich der Patentrechte zu kämpfen. Für die Verbreitung des Saxophons war aber viel entscheidender, Musiker davon zu überzeugen, das Instrument zu erlernen, und Komponisten zu finden, die für das Saxophon komponieren wollten. Leider ist die meiste Musik, die auf Veranlassung von Sax in dieser frühen Zeit um 1850 entstand, Salonmusik. Im Orchester fand das Saxophon ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zwar ebenfalls erste Verwendung, so in Bizets L'Arlesienne Suite oder der Oper "Le Roi de Lahore" von Massenet, doch erst im frühen 20. Jahrhundert entstanden interessante Solo- und Orchesterwerke für oder mit diesem Instrument.
Aufgrund der zahlreichen Kompositionsaufträge, die die amerikanische Saxophonistin Elsie Hall vergab, können wir heute auf Werke von Claude Debussy, Florent Schmitt, André Caplet und anderen zurückgreifen. Noch größere Bedeutung in der Entstehung des klassischen Saxophon-Repertoires kommt aber wohl den beiden Saxophonsolisten Marcel Mule und Sigurd Rascher zu, die in der ersten Jahrhunderthälfte eine Vielzahl von Werken bei anerkannten Komponisten (Glasunov, Ibert, Milhaud, Tomasi etc.) bestellten. Als Lehrer bildeten sie zwei konträre spieltechnische und interpretatorische Schulen; selbst heutzutage berufen sich viele klassische Saxophonisten noch auf diese Virtuosen.
Der erst rein amerikanische Trend, das Saxophon im Bereich der Jazz- und Unterhaltungsmusik einzusetzten, griff in den 20er Jahren schnell auf Europa über, und schon bald waren auch die Unterhaltungsorchester in Europa mit Saxophonen bestückt. Dies blieb nicht ohne Folgen für die Kompositionen, die ab den 20er Jahren von klassischen Komponisten für dieses Instrument geschrieben wurden. Das Saxophon galt schon bald als Inbegriff von Tanz- und Jazzmusik, so dass Künstler wie Hindemith, Eisler oder Weill in Deutschland sowie Ibert, Milhaud oder Honegger in Frankreich nicht nur seine spezifische Klangfarbe, sondern auch ein mehr oder minder ausgeprägtes Jazz-Idiom verwendeten. Diese Entwicklung läßt sich bis heute weiter beobachten. Die Auseinandersetzung klassischer Komponisten mit Stilmitteln des Jazz ist der rote Faden der vorliegenden Aufnahme.
Erwin Schulhoffs (1894-1942) CEuvre ist erst in den letzten Jahren wiederentdeckt worden. Dabei gehören nicht nur Juwelen wie die Sonate für Saxophon und Klavier von 1930 zu den aufführenswerten Werken dieses Komponisten, sondern auch vielgestaltige Kammer- und Orchestermusik der mittleren Schaffensperiode. Auf der Suche nach einem eigenen Stil näherte sich der Schüler Max Regers um 1919 der Gruppe der Berliner Dadakünstler an. In der Verwendung von Jazzstilistik glaubte er ein Pendant zum Dada gefunden zu haben. Diese Zeit war seine fruchtbarste Schaffensperiode, in der u.a. die Hot-Sonate für Saxophon und Klavier entstand. In dieser Phase auffällig und auch der Sonate nachvollziehbar ist die Verwendung von "jazzigen" Ostinatofiguren und Pendelmelodik. Die Hot-Sonate ist eine veritable Folge von kleinen Jazzstücken; nur gelegentlich werden sie durch neoklassizistische oder impressionistische Elemente bereichert. Erst relativ spät, nach einem Besuch in Moskau, wandelte Schulhoff erneut seinen Stil. Die synkopenhaften Rhythmen und jazzartigen Phrasierungen wichen zusehends einem monumentaleren Stil.
Der italienischstämmige Paul Creston (1906-1985) ist ein wichtiger Vertreter der amerikanischen Neoromantik, sein Interesse an der deutschen Romantik, am französischen Neoklassizismus und am Jazz lassen sich ebenfalls heraushören. Sein musikalischer Satz ist kraftvoll und rhythmisch differenziert, durchsetzt mit kaskadenhaften Spielfiguren und trotz polyphoner Passagen sehr melodiebetont. Die 1930 für Cecil Leeson komponierte Sonate Op. 19 zåhlt zum Standardrepertoire aller Saxophonisten.
André Jolivet (1905-1974) ist stilistisch nicht leicht einzuordnen: Seine Bestrebungen, sich von der Tonalität zu befreien, haben einen ganz anderen Hintergrund als bei den meisten seiner Zeitgenossen: Seiner religiös-mystischen Tendenz entsprechend wollte er das seiner Meinung nach ursprüngliche, magisch-beschwörende Element der Musik herausschälen. Deshalb integrierte er alles, was diesem Ziel dienlich schien: Elemente des Jazz, archaische und außereuropäische Einflüsse mischen sich mit klassischen Kompositionstechniken. Diesem Verständnis entspricht auch die Fantaisie-Impromptu von 1953. Einem ruhig beschwörenden Teil folgt ein weiterer, jazzinspirierter, rhythmischer Abschnitt. Fast sonatenhaft folgt dem Höhepunkt eine Art Reprise, die jedoch schnell die phrasierende Jazzthematik wiederaufgreift.
Edison Denisov (1929-1994) gehört zu der Generation von russischen Komponisten, die ihre persönliche Asthetik gegen den staatlich verordneten Sozialistischen Realismus verteidigten, d.h. mit schweren persönlichen Angriffen, Diffamierungen und Androhungen von Aufführungsverboten zu leben hatten. Die Sonate schrieb er 1970 für den französischen Saxophonisten Jean-Marie Londeix. Auch wenn das Werk in allen Sätzen mit der selben dodekaphonischen Reihe komponiert wurde, sind Charakter und Stil der einzelnen Sätze grundverschieden. Während der erste Satz durch seine repetitiven Muster, die durch plötzliche Ausbrüche unterbrochen werden, charakterisiert wird, hat der zweite eher meditativen Charakter. Im dritten Satz breiten sich Saxophongirlanden im Stil des Cooljazz über einem hämmerndem Klavierbass aus.
Darius Milhauds (1892-1974) Name ist untrennbar mit dem Neoklassizismus verbunden: Klassische Formen und Einfachheit des Satzes sind Grundtendenzen, die seine Musik stets frisch und jugendlich erscheinen lassen. Das von ihm verwendete Tonmaterial ist häufig folkloristischen Ursprungs. Scaramouche entstand 1937 und mag hierfür als Beispiel dienen. Der erste Satz ist durch kreisende Melodien und Tonleiterausschnitte geprägt. Sein Charme rührt aus der polytonalen Anordnung von Melodie und Begleitung. An eine gitarrenbegleitete Serenade erinnert der zweite Satz, wobei das Wechselspiel zwischen Klavier und Saxophon auch an ein Gesangsduett denken läßt. Sein Aufenthalt in Rio de Janeiro als Botschafter inspirierte Milhaud für den letzten Satz, die Brazileira. Doch auch hier handelt es sich um keine einfache Samba, sondern um ein graziöses Spiel von Melodie und Kontrapunkt.
Martin Losert